Sonntag, 24. April 2016

Smartwatch - nächster Versuch

Hier links seht ihr meine neue Armbanduhr - und rechts daneben ihren Vorgänger. Was man erst auf den zweiten Blick bemerkt: Die linke Uhr hat kein Ziffernblatt und keine Zeiger. Stattdessen sitzt ein kreisrundes Farbdisplay im Metallgehäuse, das im Normalbetrieb nur ein Ziffernblatt simuliert. Wer genau hinsieht, erkennt am unteren Rand des Displays einen schwarzen Bereich. Dort sitzt ein Sensor zur automatischen Helligkeitsregelung.
Darf ich vorstellen: Die Fossil Q Founder, meine zweite Smartwatch. Sie ist im Durchmesser rund drei Millimeter größer als die zum Vergleich abgebildete Automatikuhr, von der Stärke her nehmen sich beide Uhren nichts - wobei auch die Avialic rechts auf dem Bild eine relativ dicke Uhr ist, die gut zu großen Händen passt.

Smartwatch? Was ist das?


Eine Smartwatch ist ein so genanntes "Wearable", also ein Kleincomputer fürs Handgelenk. Auf sich allein gestellt kann die Q Founder nicht viel mehr als viele andere Multifunktionsuhren. Sie zeigt Zeit und Datum an, besitzt einen eingebauten Wecker, eine Stoppuhr und einen Timer. Da das Ziffernblatt nur eine Grafik ist, kann man es mit ein paar Knopfdrücken austauschen. Neben dem betont klassischen Chronometer-Look kann man sich auch etwas sehr Reduziertes, eine Digitalanzeige oder etwas aus der Flower-Power-Richtung laden. Das kann man auch ganz nach Laune wechseln, das dauert nur Sekunden.

Assistent fürs Smartphone


Ihren wahren Zweck zeigt die Smartwatch im Zusammenspiel mit einem Smartphone. Sie dient quasi als ausgelagertes Info-Display und als Fernsteuerung für das Telefon, das per Bluetooth mit ihr verbunden ist. So zeigt die Smartwatch verschiedene Nachrichten an, die auf dem Telefon aufpoppen, etwa neue Termine, neue Mails, eingehende SMS- oder WhatsApp-Nachrichten. Dazu liefert das Smartphone Informationen, von denen es glaubt, dass sie für mich interessant sein könnten, etwa über Geburtstage von Leuten in meiner Facebook-Timeline, über die aktuelle Wetterlage oder über die voraussichtliche Fahrtstrecke vom Büro nach hause, wenn der Feierabend naht.

All diese Informationen zeigt die Q Founder über so genannte Karten an, die im Display erscheinen, sobald man mit dem Finger von unten nach oben drüber wischt. Dabei lernt das System: Dinge, die ich nach rechts wegwische, gelten als weniger wichtig und werden in Zukunft nicht mehr so häufig angezeigt, Und Meldungen von bestimmten Apps lassen sich auch komplett blockieren.

Ziel des Ganzen: Nicht mehr jedes Mal das Telefon aus der Tasche holen müssen, wenn es irgendeinen Signapiepser ausgestoßen hat. Oft reicht bereits ein Blick auf die Uhr, um zu erkennen, ob eine Mail wichtig ist oder nicht. Dabei signalisiert die Q Founder durch dezentes Vibrieren, wenn es einen Grund gibt, mal auf die Uhr zu sehen.

Android vs. iOS


Die Uhr läuft unter Android Wear, einer Wearable-Variante des Smartphone-Betriebssystems von Google. Das funktionierte bislang nur im Zusammenspiel mit einem Android-Handy, doch seit Ende 2015 spricht Android Wear auch mit iOS ab Version 8.2 (ab iPhone 5). Der Haken - und ehrlich gesagt ein ziemlich großer Haken - dabei ist, dass unter iOS nur ein abgespeckter Funktionsumfang zur Verfügung steht. So übernimmt die Uhr von einem Android-Handy die Telefonkontakte, man kann mit ihr sprachgesteuert Telefonate einleiten ("Klaus Müller anrufen") und sogar in die Uhr sprechen, wenn die Leitung steht. In Zusammenspiel mit einem iPhone funktioniert das alles nicht. Wenn man angerufen wird, signalisiert die Uhr immerhin, dass ein Anruf einläuft, man kann ihn annehmen oder abweisen. Und bei verpassten Telefonaten zeigt die Fossil-Uhr eine Nachricht.

Hat man ein Android-Handy, dann geht mehr: Zum Beispiel eine Navigationsanzeige, wenn man sich von Google Maps ans Ziel leiten lässt. Die Uhr besitzt ein Mikrofon und nutzt die Sparcherkennung des Smartphones. So kann man - mit einem Android-Handy - auf eine eingegangene Mail, eine Facebook-Message oder eine WhatsApp-Nachricht per Sprache reagieren, das Handy macht automatisch Text draus.

Unter iOS funktioniert das alles nicht, aber was funktioniert, ist beeindruckend genug. So war ich mit der Uhr in Hongkong, wo sie aus meiner Mail-Korrespondenz und meinen Kalendereinträgen nicht nur ermittelte, dass ich auf einem Flug zurück nach München am Samstag um 22.30 Uhr gebucht war, sondern auch mit der Information aufwarten konnte, dass für diesen Flug keine Verspätung zu erwarten sei.

Ebenfalls ziemlich beeindruckend: Der Übersetzer. Man sucht sich Ein- und Ausgabesprache aus, spricht das gesuchte Wort oder den Satz in die Uhr, sie rechnet einen Moment - und präsentiert die Übersetzung in Klarschrift auf dem Display. Das funktioniert auch von Afrikaans nach Chinesisch, wenn's sein muss - allerdings nur, wenn ein Smartphone verbunden ist und es eine funktionierende Internet-Verbindung hat.

Wie so ziemlich jedes Wearable hat die Q-Founder auch einen Schrittzähler. Man kann sein gewünschtes Tagespensum einstellen (zum Beispiel 10.000 Schritte), und auf dem Ziffernblatt wird angezeigt, wie viel man davon schon erreicht hat. Einen Pulszähler hat die Q-Founder nicht.

Praktische Sachen


Die Fossil Q Founder braucht - wie alle Android-Smartwatches - ziemlich viel Strom. Mit einer Akkuladung kommt sie aber gut über den Tag. Für die Nacht gibt es eine Basisstation mit USB-Netzteil, auf die die Uhr aufgelegt wird, sie lädt sich dann per Induktion auf. Wer wie ich seine Armbanduhr vor dem Schlafengehen abnimmt, hat damit kein Problem - wie ihre Vorgängerin übernachtet die Q Founder bei mir auf dem Nachttisch. Blöd ist es, wenn man mehrere Tage unterwegs ist, dann muss man die Ladestation mitnehmen - oder eine andere Uhr.

Was die Fossil Q Founder für mich besonders attraktiv macht: Ihre gesamte Technik sitzt im Uhrengehäuse, und deshalb benutzt sie normale Uhrenarmbänder mit 22-Millimeter-Anschlag. Ich habe mir nämlich vor bald 35 Jahren einmal bei einem Autounfall das linke Handgelenk gebrochen. Seitdem passen dort die meisten normal langen Armbänder nicht mehr, sie sind zu kurz. Das gilt auch für die speziellen, mit einem proprietären Anschluss "gesegneten" Armbänder von Uhren wie Pebble Steel oder Apple Watch. Die kriege ich einfach nicht um mein Handgelenk. Bei der Fossil Q Founder habe ich einfach das mitgelieferte Armband (auf dem Bild ist es an meiner alten Avialic) gegen das extralange Band ausgetauscht, das zuvor an meiner Automatikuhr saß. Das hatte bei eBay gerade einmal 16 Euro gekostet.

Und was ist mit der Sony?


Im vergangenen Jahr hatte ich mir für kleines Geld von einem Kollegen eine Sony SW2 geschossen, ich hatte bereits darüber berichtet. Abgesehen von der grenzwertigen Optik dieser Uhr war die Freude nur von kurzer Dauer, nach wenigen Monaten ging das Display kaputt. Hoffentlich hält die Fossil länger. Und hoffentlich legt Google bei den Funktionalitäten von Android Wear für iPhone noch etwas nach.  

Freitag, 20. November 2015

Onliner helfen Flüchtlingen

Wie viele Menschen sind wir bestürzt über das Elend der Flüchtlinge, die in Europa Schutz und Hilfe suchen. Besonders die Kinder tun uns leid.

Also haben wir Anfang November beschlossen, etwas Geld zu sammeln, davon Kleidung und warme Decken zu kaufen und sie dort hinzubringen, wo diese Dinge gebraucht werden. Bärbel und ich arbeiten beide in der Online-Branche, also haben wir ein paar Freunde aus diesem Umfeld gefragt, ob sie sich an der Aktion beteiligen wollen. Die Resonanz war überwältigend: Innerhalb einer Woche kamen 860 Euro zusammen. 
Von dem Geld sind wir einkaufen gegangen: 15 Fleece-Decken, 35 gefütterte Jacken für Kinder, ein Dutzend Paar Kinder-Winterstiefel, ein Dutzend Kinder-Wollmützen und über 60 Unterhosen für Kinder. Auch Schuhe für Erwachsene, so erfuhren wir von verschiedenen Hilfsorganisationen, werden händeringend gesucht, deshalb haben wir noch neun Paar Winterschuhe für Erwachsene gekauft.
Heute haben wir unsere erste Wagenladung bei der Diakonie in München abgeliefert. Die Sachen werden jetzt unverzüglich in die Bayerwald-Kaserne gebracht, wo sie an bedürftige Flüchtlinge verteilt werden. Natürlich retten 35 Jacken und ein Dutzend Paar Stiefel nicht die Welt. Aber wenn sie ein paar Flüchtlingskindern helfen, besser durch den Winter zu kommen, dann hat sich der Einsatz bereits gelohnt.
 Zunächst hatten wir geplant, die Sachen direkt an die deutsch-österreichische Grenze zu bringen. Doch das erwies sich schwieriger als gedacht, denn direkt an die Auffanglager kommt man als „Normalbürger“ gar nicht heran.  Derzeit seien die Kleiderkammern an den Aufnahmestellen in Passau und Freilassing gut gefüllt, sagte man uns. Zudem wechsle der Bedarf ständig. In München wurden im September noch mehrere tausend Flüchtlinge täglich aufgenommen, dann kamen eine ganze Weile keine Flüchtlinge mehr. Jetzt erwartet München die nächsten Kontingente – und freut sich über Spenden aller Art. Wir sind aber auch mit dem Roten Kreuz in Passau im Kontakt, man will sich bei uns melden, wenn sich die Situation ändert.
Diese Aktion wäre nicht möglich gewesen ohne die hervorragende Unterstützung von Barbara und Matthias Berger,  Timo von Focht,Tanja Koschade, Helmut van Rinsum, der PR-Agentur Cocodibu und einigen anderen Spendern, die uns gebeten haben, sie nicht zu nennen. Vom gesammelten Geld sind im Moment noch 140 Euro übrig, außerdem wurden uns noch weitere Spenden angekündigt. Sobald wieder genügend zusammengekommen ist, wollen wir wieder einkaufen – und ein paar Flüchtlingen das Leben etwas leichter machen.


    

Freitag, 9. Oktober 2015

Go west!

Lustige Ortsnamen haben die in Frankreich
Ein Jahr ist es her, dass ich im Zuge des Abbaus reichlichen Resturlaubes mein Spandauer Schwermetall sattelte und spontan gen Süden fuhr. Im vergangenen Jahr war ich im Oktober in Slowenien und Kroatien – und hatte auf der Rückfahrt meinen Spaß mit einer Felbertauern-Überquerung im Neuschnee.

Seitdem hat sich vieles geändert: Bayern und Österreich haben ihre Grenzen dicht gemacht, lange Staus an den Kontrollpunkten drohen. Außerdem hat sich 2015 der Herbst viel eindeutiger zu Wort gemeldet als im Jahr zuvor, die Alpen sind teilweise jetzt schon weiß. Im Süden waren wir bereits im Sommerurlaub. Warum also nicht einfach mal woanders hinfahren? Im Elsass war ich noch nie. Zumindest nicht auf zwei Rädern.

Der initiale Plan: Ab Donnerstag habe ich Urlaub, also am Freitag, den 2. Oktober losfahren, am Tag der Deutschen Einheit beim „Erbfeind“ die Straßen unsicher machen, eventuell auch am Sonntag, und dann am Montag zurück. Im Schwarzwald war ich auch noch nie – zumindest nicht auf zwei Rädern.

Elsass. Vogesen. Haut-Rhin. Wo fährt man da hin? Ein Blick auf die Karte weist ein einziges großes, grünes Nationalparkgebiet aus, das rund 30 Kilometer westlich des Rheins beginnt und sich von Saverne im Norden bis nach Belfort im Süden erstreckt. In Saverne war ich vor 35 Jahren schon mal, damals mit meinem Kadett B. Belfort hört sich irgendwie spannend an, das könnte man als Basis nutzen. Meinen ersten Gedanken, die angeblich hohen Hotelpreise in Frankreis zu umgehen und in Freiburg/Breisgau zu übernachten, verwerfe ich nach einem Blick auf Booking.com. Irgendwas ist in Freiburg los, Hotelzimmer sind dort an diesem Wochenende erst ab 100 Euro zu haben. Also eine Herberge in Belfort gebucht: 55 Euro pro Nacht, direkt im Stadtzentrum. Außerdem muss ich meine Abreise verschieben: Am Freitag habe ich noch in München zu tun, also geht es erst am Samstag auf die Bahn.

Als ich am Samstagmorgen in München starte, sieht das Wetter zunächst aus wie ein klassischer Showstopper. Dunkle Wolken hängen am Himmel. Nach Westen hin soll’s besser werden, sagt der Wetterbericht, also auf die A96 in Richtung Lindau und Meilen machen! Anderthalb Stunden später bin ich in Memmingen und fahre unter spärlicher Bewölkung in Richtung Freiburg. Irgendwo in den östlichen Schwarzwaldausläufern mache ich Halt und gönne mir Wild-Hackbraten mit Kroketten und Spätzle für schlanke 9,80 Euro – von dem Essen werde ich bis Frankreich etwas haben.

Reichsbahnfriedhof
Als ich Tuttlingen passiere, fällt mir ein Schild auf, das auf 38 Dampfloks verweist. Wenig später sehe ich zu meiner Rechten tatsächlich ein Bahngleis, auf dem in einer langen Reihe schwarze Eisengiganten in unterschiedlichen Stadien des Verfalls vor sich hinmodern. Im Bahnbetriebswerk Tuttlingen, einem trutzigen Steinklotz mit danebenliegendem Lokschuppen, entsteht gerade das Deutsche Dampflok- und Modelleisenbahnmuseum. Fünf Euro später stehe ich auf dem Gelände vor den erschreckend großen Dampfloks, die offenbar nur mit größtem Glück dem Schneidbrenner entronnen sind, aber sicherlich nie wieder einen Meter aus eigener Kraft zurücklegen werden. Informationen zu den Loks gibt es nicht – das Museum ist ja erst im Werden. Aber die schiere Menge beeindruckt.

Rübergemacht: Kuh aus Spandau in Frankreich
Weiter geht die wilde Fahrt, Richtung Freiburg. Die Straßen, die ich mir ausgesucht habe, sind eher zügig als anspruchsvoll, aber ich will ja auch noch einmal ankommen. In Freiburg mache ich kurz Halt, trinke einen Kaffee bei Starbucks und erlebe das erste Kunden-WC mit Geheimcode zum Öffnen. Irgendwie habe ich den Eindruck, es war eine gute Idee, hier nicht abzusteigen.
Immer weiter geht es nach Westen. Bei Breisach fahre ich über den Rhein – und freue mich (immer noch), dass niemand meine Papiere sehen will. Irgendwie gehört das für mich zur gelungenen Wiedervereinigung dazu, dass nicht nur in Deutschland die Grenzen gefallen sind.

Bis nach Belfort sind es jetzt noch gut 90 Kilometer – und zwar ziemlich langweilige Kilometer. Denn bei meiner Routenplanung bis Freiburg hatte ich mir am PC noch etwas Mühe gegeben, doch bis zum Hotel nach Belfort lasse ich das Navi einfach machen, und das schickt mich über die über weite Strecken autobahnänlich ausgebaute Grand Rue nach Süden. Als ich in Belfort ankomme, ist es nach fünf Uhr abends. Ich beziehe mein (winziges) Hotelzimmer, gebe diverse elektronische Lebenszeichen von mir und wechsle auf Zivilkleidung. Dann folge ich einer spontanen Eingebung und beschließe, noch einen Supermarkt aufzusuchen. Es ist zwar Samstagabend, aber irgendwas müsste da noch aufhaben. Eine Stunde später bin ich zurück, mit etwas Rotwein und Chips für die Nacht und ein paar kleinen Limoflaschen für die folgenden Tage.

Blick aus dem Hotelfenster
Belfort hat einen  historischen Ortskern und eine beeindruckende Befestigungsanlage dahinter. Darum gruppiert sich eine typisch wuselige, französische Kleinstadt mit rund 50.000 Einwohnern. Die Stadt liegt im Bezirk Haute-Rhin, und wenn hier etwas auf Tourismus gemacht wird, dann nur für französische Touristen. Denn englisch oder deutsch spricht hier niemand. Dazu passt auch der Fernseher auf meinem Hotelzimmer: 35 Kanäle, alle nur auf Französisch. Im Restaurant daneben kostet das Tagesmenü 25 Euro, ich beschließe, aufs Zimmer zu gehen und ein paar von den Schokowaffeln zu essen, die ich im Supermarkt noch gekauft habe. Später raffe ich mich dennoch noch einmal auf und bummle etwas durch die inzwischen dunkle Stadt. In einem Bistro gönne ich mir ein Glas Rotwein – und es fängt zu nieseln an. Super. Wenn ich schon mal auf Tour bin.

Belfort bei Nacht
Während ich mich in der Nacht unter dem Einfluss von Rotwein, Schwarzwald-Spätzle und Schokowaffeln im überraschend komfortablen Bett umherwälze, wächst sich draußen das Nieseln zum Dauerregen aus. Am nächsten Morgen ist draußen alles nass und grau. Also erst mal frühstücken und dann weitersehen. Als ich gegen zehn Uhr morgens mein klatschnasses Motorrad besteige, wird es am Himmel schon heller. Regnen wird es heute den ganzen Tag nicht mehr.



Am Ballon d'Alsace
In München hatte ich beim Louis im Grabbelkorb einen Motorrad-Reiseführer Elsass und Vogesen für kleines Geld gefunden und mir daraus einige Touren ins Navi kopiert. Eine der Touren möchte ich heute fahren, sie beginnt und endet am Lac Géradmer, rund fünfzig Kilometer nördlich von Belfort. Also fahre ich erst einmal nach Norden, über Giromagny und Lepuix. Überall ausgeschildert ist der Ballon d’Alsace, eine Hügelkette mit zahlreichen Bespaßungsangeboten. Die Strecke dorthin gibt mir einen Vorgeschmack darauf, was mich erwartet: Landstraßen erster bis dritter Ordnung, Kurven mit den unterschiedlichsten Radien und ein Asphalt, der fast immer griffiger ist als er aussieht. Den Ballon d’Alsace erreiche ich in so dichtem Nebel, dass ich in Ermangelung einer Nebelschlussleuchte mit eingeschalteter Warnblinkanlage fahre. Doch ein paar Kilometer später ist der Spuk schon wieder vorbei und die Wolkendecke reißt auf. Schließlich komme ich in Géradmer an und beginne Tour Nr. 7 aus dem Reiseführer von Thomas Heppmann.

Es beginnt eine Wandertour durch die südlichen Vogesen, und einmal mehr bin ich froh um mein Navi. Mit dem im Buch abgedruckten Roadbook hätte ich die Abzweige nie geschafft. (Download der Tour im TomTom-ITN-Format) Es geht über kleine und kleinste Sträßchen, zwar fast alles asphaltiert aber ohne Ortskenntnis nicht zu finden. 179 Kilometer hat die Tour, aber sie abzufahren dauert fast fünf Stunden. Unterwegs treffe ich auf einen Hinweiser auf den berühmten Col de la Schlucht und beschließe dort hochzufahren. Ganz nett, aber bestimmt nicht der Höhepunkt des Tages. Dafür sitze ich schließlich oben am Pass auf der Terrasse eines Wirtshauses in der Sonne und esse eine ganz manierliche Fleischpastete. Das Ende der Tour beschließe ich mit einer ausgiebigen Pause am Lac de Géradmer (der in manchen alten Reiseführern einfach nur Gerdsee heißt), dann muss ich ja noch zurück ins Hotel. Ich verlasse mich auf mein Navi, das findet den Weg zwar zuverlässig aber ohne Kreativität: Ein Großteil der gut 80 Kilometer geht über schnurgerade Nationalstraßen. Abends mache ich mich auf die Suche nach einem bezahlbaren Restaurant und stoße auf einen Algerier, der mir ein sehr achtbares Ribeye-Steak mit Pommes und Gemüse auftischt. Und im Gegensatz zu seinen französischen Landsleuten spricht der Mann auch englisch und sogar drei Brocken deutsch.

Der Montag beginnt, wie der Sonntag begonnen hat: Nass. Doch als ich nach dem Auschecken aus dem Hotel mein Gepäck in den Koffern des tropfnassen Motorrades verstaue, regnet es schon nicht mehr. Zurück will ich anders fahren als hin. Ich fahre ab Belfort nach Osten, die Kleinstadt liegt ziemlich genau auf der Höhe von Basel. In weit geschwungenen Bögen geht die Straße über sanft hügeliges Land, und in fast jedem Ort, den ich durchfahre, wird die Hauptstraße gerade frisch asphaltiert. Nach einer guten Stunde erreiche ich den Flughafen Basel-Mulhouse, kurze Zeit später fahre ich bei Weil am Rhein über die Grenze nach Deutschland. Die Gegend dort ist vollindustrialisiert und überfüllt mit Kreiseln, Ampeln und Radarfallen, und so bin ich ganz froh, als es weitergeht in Richtung Südschwarzwald.

Feldberg im Nebel
Zum Feldberg hoch führen dreispurige Rennbahnen – und oben stehe ich dann wieder im Nebel. Dennoch wartet der Schwarzwald durchaus mit feinen Strecken auf, nur etwas wärmer könnte es sein. Am Schluchsee mache ich Rast und gebe mir eine Bratwurst mit Pommes – und die Erkenntnis, dass Herzlichkeit im Kundenkontakt in der Gastronomie dieses Landstrichs offenbar optional ist. Ich könnte jetzt Richtung Freiburg-Tuttlingen fahren und dann den Weg nehmen, den ich auf der Hinfahrt genommen habe. Stattdessen fahre ich nach Süden in die Gegend um Waldshut Tiengen und später Richtung Konstanz. Das beschert mir zwar zwischen Konstanz und Siegen ein paar schöne Kurven, aber danach die Einsicht, dass die Bodenseeregion verkehrstechnisch ein echtes Desaster ist. Die B31 am Nordufer des Sees ist hoffnungslos überlastet, offenbar ein gewollter Zustand, sonst würde sie nicht in manchen Orten durch Tempo-30-Zonen künstlich eingebremst. Von hier nach hause sind es noch über 200 Kilometer. Wenn ich die jetzt auf ausgesuchten, kleinen Straßen fahren will, kann ich mir gleich noch ein Nachtquartier suchen. Auf eine Fährpassage in die Schweiz und anschließendes Tempo-60-Gezockel am Südufer des Sees habe ich erst recht keine Lust. Also endet die Tour wie sie begonnen hat: Mit zügigem Marschtempo auf der A96.

Für die Statistik: Gut 1.300 Kilometer gefahren, keine Probleme am Krad, nur das Navi sendete seinen Ton zum Schluss nur noch auf das rechte Ohr. Der Conti TKC 70 konnte in jeder Situation überzeugen. Längsgefräste Straßenbeläge mag er allerdings nicht so. Und falls ihr selbst mal nach Frankreich fahrt: Hektisches Tanken vor der Grenze ist eigentlich unnötig. Der Sprit kostet dort nicht mehr als hier.        



Freitag, 2. Oktober 2015

Warum der neue Tesla X Elon Musk entzaubert

Endlich ist es so weit: Gestern hat Elon Musk den lang erwarteten SUV der Marke Tesla vorgestellt. In der zweiten Jahreshälfte 2016, also deutlich später als angekündigt wird das Fünfmeter-Zweitonnenauto mit Elektroantrieb in den Verkauf gehen. Die Tesla-Fangemeinde ist schon jetzt elektrisiert und spart nicht mit Vorschusslorbeeren. So schafft es das US-Portal Trusted Reviews, einen kompletten Artikel über das Auto zu schreiben, der exakt keine auch nur im Ansatz kritische Aussage enthält. 
Ich sehe das Model X etwas differenzierter. Es zeigt in aller Deutlichkeit, dass auch ein Elon Musk nicht zaubern kann. Denn das Model X ist alles mögliche, nur weder eine Revolution noch dusruptiv. Es löst nicht die Probleme, unter denen die Akzeptanz von Elektroautos heute noch leidet. Stattdessen liefert es Antworten auf Fragen, die niemand gestellt hat.
Aber der Reihe nach. Rein technisch gesehen ist das Model X eine höher gelegte SUV-Karosserie auf Basis des seit 2013 verkauften Model S. Dessen Chassis, es wird übrigens vom deutschen Zulieferer Continental gebaut, bekam einfach einen höheren Aufbau. Daraus folgt, dass der X nicht geländegängiger oder in irgendeiner Weise fahraktiver ist als der S. Ist das ein Nachteil? Keineswegs. Auch BMW baute seinen ersten X5 auf der Bodengruppe des 5er BMW auf. Porsche Cayenne und Porsche Panamera teilen sich eine Plattform, Golf und Tiguan ebenfalls. Vom Model S übernimmt der X den Vorteil des „Frunk“, eines Kofferraums unter der Fronthaube. Die E-Motoren des X sind recht klein, die Batterien sitzen unter dem Boden, deshalb ist vorn Platz für Gepäck. Das muss es auch, denn innen lässt sich der X (wie der S) mit bis zu 7 Sitzplätzen ausstatten. Das sind mehr als bei vielen Wettbewerbern mit Verbrennungsmotor. Allerdings sind in der Praxis Autos selten mit mehr als zwei Personen besetzt. Die meisten Sitze des Tesla werden also kaum benutzt.
Zu den aufregenden Neuheiten des X gehören die „Falcon Wings“, Flügeltüren, die den Zugang zu den hinteren Sitzen ermöglichen. Als Vorteile für diese Türen nennt Tesla, dass sie auch dann öffnen, wenn neben dem Auto kein Platz ist. Außerdem schwingen sie so hoch, dass ein Erwachsener aufrecht stehen kann, während er etwa ein Kind in einen Kindersitz schnallt. Die Türen bewegen sich elektrisch, und Sensoren ändern ihren Öffnungswinkel, wenn sie feststellen, dass über dem Auto nicht genug Platz ist. Das liest sich auf den ersten Blick gut, auf den zweiten nicht mehr so ganz. In Kalifornien mag es kein Problem sein, wenn bei jedem Öffnen der Tür ein riesiges Loch im Dach mitöffnet, aber in regenreichen Gegenden wird es dann schnell feucht auf den billigen Plätzen. Und wenn oben nicht genug Platz ist, wohin schwenken die Türen dann? Und wer in einer Wintersportregion lebt, muss sich unwillkürlich fragen, wo man bei diesem Auto eigentlich den Dachträger mit dem Jetbag drauf montieren kann. Tesla offeriert einen Heckträger, an dem man Snowboards festklemmen kann, doch wer einmal mit so was 200 Kilometer durch verschneite Straßen gefahren ist, der wünscht sich eine Box auf dem Dach.
Zu den Features der Rubrik „Antworten auf Fragen, die nicht gestellt wurden“ gehören die Frontscheibe und die Belüftungsanlage. Die Frontscheibe geht nahtlos ins Dach über und endet erst auf Höhe der B-Säule. Die Frontpassagiere sitzen also komplett unter Glas. Das mag man toll oder weniger toll finden. Nur wenige Leute wissen, dass Opel bereits vor Jahren eine solche Scheibe als Extra im Astra Coupé angeboten hat. Diese Tatsache ist unter anderem deshalb nahezu unbekannt, weil kaum ein Astra-Kunde diese Panoramascheibe haben wollte. Vielleicht sitzen kalifornische Tesla-Käufer lieber an der Sonne. Die Belüftungsanlage des Tesla X ist mit hochwirksamen Filtern versehen, die Musk bei der Präsentation allen Ernstes als „Schutz gegen Biowaffen“ anpries. Er versprach, dass die Luft im Inneren des Tesla X einen Reinheitsgrad besäße, der dem der Luft in einer medizinischen Einrichtung gleich käme. Das ist gewiss kein Nachteil. Andererseits habe ich noch nie von einem Fahrer eines Oberklasse-Autos Klagen über den Grad der Luftreinhaltung gehört. Hier wurde – offensichtlich aus PR-Gründen – ein Problem gelöst, das keines ist. Ähnlich sehe ich die selbst öffnende und schließende Fahrertür. Das Auto soll seinen Fahrer erkennen, die Tür öffnen und hinter ihm automatisch wieder schließen. Auch das eine Lösung für ein Nicht-Problem.
Was Tesla hingegen auch beim Model X versäumt hat: Das Fahrzeug ist weder leichter noch kompakter noch billiger als das Model S, im Gegenteil. Seine Reichweite ist immer noch ordentlich für ein Elektroauto, aber kümmerlich für ein SUV. Die Beschleunigung ist enorm – Tesla verspricht 3,2 Sekunden von 0 auf 96 km/h (60 mph). Doch wer braucht wirklich einen SUV, der dermaßen brutal beschleunigt? Dafür liegt der Kaufpreis bei über 100.000 Euro, dem Vierfachen des Durchschnittspreises eines Neuwagens in Deutschland.
Der Tesla X wird sich vermutlich – nach Tesla-Maßstäben gemessen – ganz gut verkaufen. Vielleicht sogar besser als so mancher alberne Macho-SUV, dessen Existenz Elektroautofans sonst am liebsten verdrängen. Aber er wird die Elektromobilität nicht vorantreiben, denn er löst kein einziges Problem, das das Model S bereits gehabt hat. Und anders als das Model S wird der X Konkurrenz bekommen. Audi hat für 2018 einen E-SUV mit einer Reichweite von 500 km angekündigt. Auf den wird die Welt auch nicht gewartet haben, aber leichter macht der Audi Tesla das Spiel auch nicht.
Was hätte Tesla tun müssen, um mich zu begeistern? Auf jeden Fall nicht das, was sie jetzt getan haben, nämlich einen SUV auf Limousinenbasis zu bringen. Ich warte auf das kompakte Auto mit den Abmessungen eines VW Touran, vielleicht außen noch etwas kleiner, dafür innen größer. Mit einer Reichweite von 350 km ohne wenn und aber, also auch bei flottem Autobahntempo, und zu einem Preis von nicht mehr als 30.000 Euro. Ein solches Auto hätte das Zeug, die Konkurrenten nervös zu machen. Oder warum nicht ein Lieferwagen mit Frontlenker-Karosserie auf Basis des Tesla S? Leistung radikal beschnitten, weil 130 km/h Spitze und 10 Sekunden von 0 auf 100 für einen Lieferwagen locker reichen, dafür ein innovatives Lade- und Entladesystem für die Ladung an Bord – und alles schon als Basis für zukünftige, autonom fahrende Lieferdienste ausgelegt. Auch das hätte die Phantasie der Tech-Blogger beflügelt.
Aber das Model X?  Das hätte jeder machen können.      

Dienstag, 4. August 2015

Warum autonome Autos niemals Realität sein werden

Seitdem Google 2014 den ersten Prototypen seines wirklich autonom fahrenden Autos - also ohne Lenkrad und Pedale - vorgestellt hat, ist die Gemeinde der Fortschrittsgläubigen elektrisiert: Natürlich sind autonome Autos viel besser als die, die von unbeherrschten, fehleranfälligen und unberechenbaren Menschen gesteuert werden. Es gibt zwar noch keinen einzigen Meter öffentliche Straße auf dem Planeten, in dem ein Auto ohne menschliche Besatzung und deren Möglichkeit zum manuellen Eingriff fahren darf. Aber das hindert die Fanboys nicht, sich schon ganz fest Gedanken zu machen wovon zum Beispiel die Versicherungswirtschaft leben soll, wenn Autos keine Unfälle mehr bauen.

Allerdings gibt es einen einfachen Grund, weshalb sich autonom fahrende Autos nie durchsetzen werden: Fahrradfahrer. Diese Einsicht traf mich wie ein Donnerschlag, als ich neulich mit meinem Auto an der Paul-Heyse-Straße Ecke Schwanthaler Straße stand. Das sind, wer die Straßen nicht kennt, große, vierspurige Hauptstraßen, und die Paul-Heyse ist eine der wenigen Straßen in der Innenstadt, die die Gleise zum Münchner Hauptbahnhof unterquert. Bei schönem Wetter fahren dort, neben immer dichtem Autoverkehr, auch viele Fahrradfahrer.

Dummerweise gibt es nur auf einer Seite einen Fahrradweg, weshalb die, die von Norden nach Süden fahren, sich ab der Ecke Bayerstraße todesmutig auf die Fahrspur wagen. Dieser Fahrradverkehr, der natürlich je nach Wetter auch stark schwankt, war bei der Planung der Ampelzeiten an der Kreuzung Paul-Heyse / Schwanthaler nie eingeplant, weshalb jeder Auofahrer, der an der Ampel rechts abbiegen will, nicht nur auf die Fußgänger aufpassen muss, sondern auch auf die fahrradfahrer, die in beachtlicher Geschwindigkeit rechts an den wartenden Autos vorbeifahren. Ecken wie diese gibt es zu Dutzenden in der Stadt, und wenn man sich nicht etwas beeilt, dann kommt man dort als Autofahrer nicht ums Eck. Die Folgen sind schon jetzt deutlich zu sehen: Die geradeaus fahrenden Fahrradfahrer verhindern, dass die Autofahrer in vernünftiger Frequenz rechts abbiegen, und so kommen selten mehr als zwei, drei Autos in einer Ampelphase über die Kreuzung. An dieser Stelle ist das doof, denn damit ist eine der beiden Fahrspuren faktisch blockiert, die andere überlastet, der Dauerstau programmiert. Bösmeinenden Menschen glauben, dass diese Nicht-Verkehrsregelung mit Absicht passiert um Autoverkehr in München so unattraktiv wie möglich zu machen. Offiziell wird das kein Mitarbeiter des Kreisverwaltungsreferates je zugeben, denn das könnte auch strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.

Was hat das alles mit selbstfahrenden Autos zu tun? 

Aus der misslichen Überforderungslage hat sich ein merkwürdiges Kamikaze-Duellverhalten zwischen Fahrradfahrern und Autofahrern entwickelt. Der Fahrradfahrer hält einfach drauf, als habe er das ewige Leben, der Autofahrer verliert irgendwann die Geduld und schneidet dem Fahrradfahrer die Spur ab. Will man als Autofahrer das Rechtsüberholtwerden verhindern und fährt an der Ampel hart rechts an den Bordstein, ficht das die meisten Fahrradfahrer nicht an, sie fahren einfach auf dem Fußweg weiter. In den grimmigen Gesichtern der Radler kann man förmlich den Gedanken lesen: "Du in deiner stinkenden Kiste, dann fahr mich halt über den Haufen, wenn du dich traust." Über vielen Autos schweben dagegen Denkblasen, in denen Sätze stehen wie "So, Burschi, mein Leben ist es ja nicht, jetzt musst du eben tapfer sein."

Und das selbstfahrende Auto?

Die Befürworter des Autonomous Car führen ins Feld, dass Menschen ja doch nur Unfälle bauen, weil sie unbeherrscht sind und gegen Verkehrsregeln verstoßen. Ein autonomes Auto, so viel ist sicher, wird immer defensiv fahren und es nie einfach drauf ankommen lassen, dass der andere zurücksteckt. Und damit wird es niemals über eine Kreuzung wie die beschriebene kommen, weil sich immer irgendwas in der Gefahrenzone rund um das Auto befindet. Man muss sich das so vorstellen wie ein Fahranfänger in einem Fahrschulauto, der morgens in der Rush Hour an einer engen Einmündung die Vorfahrt beachten und dann einbiegen muss - und sich nicht traut. Es gibt nur einen Unterschied: Bei einem Fahrschulauto geht jeder von einem unberechnebaren Nichtskönner am Steuer aus, bei einem autonomen Auto dagenen von einem Computer, der so programmiert ist, dass er eher eine Vollbremsung hinlegt, als irgendwen zu gefährden. Man darf verbindlich davon ausgehen, dass die Fahrradfahrer in jeder Großstadt nicht lange brauchen werden, bis sie diese Eigenschaft des Computers zu ihrem Vorteil ausnutzen. Sie fahren schon heute ohne Schulterblich auf jede Straße - und vertrauen drauf, dass die, die sie für ihre feinde halten, sie schon nicht über den haufen fahren werden. Wäre ja schade um den Schadensfreiheitsrabatt.

Ein autonom fahrendes Auto wird also jeden Zweikampf mit einem Fahrrad verlieren. Und damit wird es in der Stadt nicht vorankommen. Überhaupt nicht. Und wenn dann die dritte Ampelphase vorbei ist und das autonome Auto immer noch nicht abgebogen ist, dann wird vielleicht einer von hinten kommen und ihm ein Rücklicht eintreten.

Und spätestens dann wird es auf Not-aus gehen.

Mittwoch, 4. Februar 2015

Rasierklingen aus dem Cyberspace



Das hier ist ein Prototyp. Er stammt vom Rasiererhersteller Gillette und heißt schlicht "Gillette Box". Besonders an dem Teil ist nicht der Rasierer, das ist ein handelsüblicher Nassrasierer der Fusion-Proglide-Serie mit nicht weniger als fünf Klingen und einem Gleitmittelstreifen im Scherkopf. Das Besondere an der Box ist die Box selbst, denn sie hilft dem Nassrasierer bei einem unmittelbaren Problem: Was tun, wenn die Klingen alle sind?
Dafür hat die Box einen Knopf. Drückt man ihn, löst das eine Bestellung beim Onlineshop "The Perfect Shave" aus, und schon 24 Stunden später liegt eine neue Packung Klingen im Briefkasten. 
Die Technik dafür hat Gillette gemeinsam mit der Telekom entwickelt, sie nennt sich Auralink und basiert auf dem Mobilfunkstandard GSM. Um im Internet eine Bestellung abzusetzen, benötigt die Box also kein WLAN, der Haushalt muss keinen Internet-Anschluss besitzen, die Box muss nur D-Netz empfangen. Für den Strom sorgen drei Trockenbatterien der Größe AAA. Wie lange sie halten und ob die Box Empfang hat, das muss der Benutzer selbst rausfinden. Anzeigeelemente hat die Box nicht.
Theoretisch ist die Bedienung einfach: Will man neue Klingen, drückt man ein paar Sekunden auf den Knopf, bis der Ring um den Knopf blau zu leuchten beginnt - fertig.
Ganz so einfach ist es in der Praxis dann doch nicht: Vor der ersten Bestellung muss man die die Box beim Online-Shop registrieren. Dazu hat sie eine ID-Nummer. Der Registrierungsprozess dauert normalerweise nur ein paar Minuten - in meinem Fall ging er schief. Die Onscreen-Tastatur meines iPads hatte die Eingabemaske verdeckt, ich musste einige Sachen blind eingeben und vertippte mich. Resultat: Die versprochene Bestätigungsmail kam nicht an. Tipp an Mit-Tester, die die Box auch gerade ausprobieren: Tablet hochkant halten, dann geht es besser. Der Support half mir weiter - die Eingabemaske will man noch überarbeiten.
Und was ist, wenn die Katze des Hauses mit der Box spielt und dabei an den Knopf kommt? Das ist kaum möglich, denn man muss ihn mehrere Sekunden fest drücken. Aber ein Kind könnte problemlos Klingen bestellen. Deshalb löst der Knopf die Bestellung nicht sogleich aus, der Onlineshop schickt noch eine E-Mail, die man bestätigen muss, bevor die Ware in die Post geht. Billig ist der Spaß nicht: 16,99 Euro verlangt The Perfect Shave für vier Klingen. Andererseits: Woanders ist es auch nicht billiger, fünf Klingen pro Scherkopf lässt sich Gillette halt stolz bezahlen. Was die Box kosten wird, steht noch nicht fest. Wie gesagt - es ist ein Prototyp.
Abschließend stellt sich die Frage nach dem Sinn einer Box, die drahtlos im Netz bestellen kann - aber nur ein Produkt. Für Städter, die auf dem Weg vom Büro im Drogeriemarkt vorbeischauen können, ist die Box kaum mehr als eine Spielerei.
Die Technik dahinter ist sicherlich nicht nur für Rasierer interessant. Drucker könnten selbst messen, wenn sie neue Patronen oder Tonerkartuschen brauchen - und automatisch Nachschub ordern. Und ich könnte mir sogar eine Waschmaschine vorstellen, die einen eingebauten Tank für Waschmittelkonzentrat hat. Einmal aufgefüllt, nimmt sich die Maschine so viel Waschmittel wie sie braucht, und wenn der Vorrat zur Neige geht, kommt Nachschub per Post.
Ein letzter Satz zum Rasierer: Fünf Klingen mögen overdone erscheinen - aber das Ding rasiert wirklich astrein.


Donnerstag, 23. Oktober 2014

Einmal Balkan und zurück

Ein paar Tage Resturlaub, Frau hat keine Zeit, also aufs Mopped und los. Hat die Q eigentlich schon mal das Meer gesehen? Solange ich sie habe nicht, also auf in den Süden. Das Wochenende in München war traumhaft, in den Tagen darauf soll das Wetter nachlassen. Andererseits: Was die im Wetterbericht immer so sagen...
Am Montagmorgen piept der Wecker um 06:20 Uhr. Um 07:28 Uhr geht um diese Jahreszeit die Sonne auf, dann will ich auf dem Bock sitzen. Mein Gepäck habe ich schon am Vortag in die Koffer gepackt. Ölstand? Luftdruck? Bloß nicht überorganisieren, wird schon passen. Durch ätzenden Berufsverkehr in Richtung Süden auf die A95 in Richtung Garmisch gestaut, dann weiter auf der Autobahn bis zur Abfahrt Wolfratshausen, dort runter, über Beuerberg und Königsdorf nach Bad Tölz, von dort auf die B13 in Richtung Achensee. Eine Routine-Strecke, aber ideal, um den Kopf frei zu bekommen. Gut eine Stunde nach der Abfahrt bin ich in Österreich und blubbere gemütlich am Achensee lang. Meine Devise für die Tour: Kein Stress, wenn es nicht sein muss. Und wer die Achenseestraße kennt, weiß, dass dort gern kassiert wird.
Weiter geht die Fahrt, ins Zillertal hinein. Das Wetter ist recht grau, und so fällt es noch mehr ins Auge: Wenn es darum geht, eigentlich ganz schöne Alpentäler architektonisch zu verwüsten, sind die Österreicher im internationalen Vergleich ziemlich weit vorn. Bei Zell am Ziller bunkere ich noch mal Sprit, und dann geht es über den Gerlospass. Das Wetter reißt auf, und ich sehe: Die Österreicher haben nicht alle ihre Täler zugebaut. Bei Mittersill biege ich auf die Felbertauernstraße ein. Ich hätte auch geradeaus weiter fahren können und dann über den Großglockner fahren, aber ich will ja heute noch wohin - und außerdem finde ich die mehr als 20 Euro für das Großglockner-Ticket etwas heftig für eine Fahrt.
Rast an der Felbertauernstraße
20 Minuten später gönne ich mir die erste Pause an einem Rastplatz an der Felbertauernstraße, esse und trinke was, gebe ein Lebenszeichen nach hause ab und mache einen ersten technischen Check. Die Q hat doch etwas wenig Öl im Triebwerk, also gibt es einen Schubs aus der Flasche. Und ich mache noch etwas wichtiges: ich ziehe den Fleecepulli aus, den ich seit München unter der Jacke getragen habe - schön warm ist es geworden. Wie ich da so kontemplativ sitze, schmettert eine grazile Frau mit einer R1200GS vorbei. Sie gibt das Signal zum Aufbruch - ich will ja heute noch wohin.  
Nach dem Felbertauerntunnel treffe ich die Frau wieder. Wir stehen gemeinsam an einer Wechselampel und warten minutenlang auf grün, denn die Südrampe des Tunnels wird erneuert. Die Frau sagt: "Am Mittwoch soll's hier schneien..." 
Nun gut, ich habe Heidenau K60 mit M+S-Kennung drauf, aber die haben auch schon ihre zweite Saison hinter sich. Und Schnee in den Alpen, mit dem Motorrad? Ich beschließe das Thema im Auge zu behalten.
Aber erst einmal weiter: Die B108 wird flott gefahren, in Lienz geht es auf die (ebenfalls nicht so spannende) B100, die dem Drautal folgt. Bei Oberdrauburg biege ich in Richtung Plöckenpass auf die B110 ab, bei Kötschach-Mauthen gönne ich mir noch zehn Liter billigen Ösi-Sprit - in Italien kostet Eurosuper 1,80. Die Strecke bis zum Plöckenpass ist schon sehr nett, aber der eigentliche Pass liegt in Italien.  
Allein am Plöckenpass
Die Luft ist dunstig, als ich den Plöckenpass runtertuckere. Die Straße ist nicht die Beste, meine Reifen sind es auch nicht, außerdem muss ich mich etwas vor den nassen Fichtennadeln in Acht nehmen, die an vielen Ecken liegen. Vorteil des Fahrens am Werktag: ich habe den Pass quasi für mich allein. Wer militärhistorisch interessiert ist, sollte sich allein für diese Gegend ein paar Tage Zeit nehmen. Denn hier tobten vor fast 100 Jahren erbitterte Schlachten, von denen heute noch verfallene Festungsbauten künden. Diese so friedliche Gegend war damals alles andere als friedlich.
Bis Udine geht meine Route auf dem Navi, da will ich mir ein Zimmer suchen. Doch zwischen Tolmezzo und Udine wird die Strada Statale 13 verdammt öde. Außerdem: Was will ich um vier Uhr nachmittags schon im Hotel?  Irgendwo, 40 Kilometer vor Udine, erscheint ein Wegweiser: Slovenia 30 km. Okay, hört sich gut an. Zehn Kilometer später weiß ich nicht mehr weiter und programmiere in einem heruntergerittenen italienischen Kaff mein Navi neu. Ich weiß zwar nicht genau, wo ich bin, aber Tolmin liegt eindeutig in Slowenien, und da fahren wir jetzt einfach mal hin.
Kaum habe ich die italienische Grenze hinter mir, wird es eindrucksvoll. Die Straße schlängelt sich durch bewaldete Täler, man kommt sich vor wie vor 50 Jahren. Ewig sieht man kein anderes Auto - ich ertappe mich dabei, mir Sorgen zum machen, was eigentlich ist, wenn ich eine Panne haben sollte. Bei Kobarid treffe ich auf eine größere, doch nicht minder eindrucksvolle Straße. Die Landstraße 102 folgt dem Bett der Soca. Das Wetter ist - objektiv betrachtet - suboptimal, denn es ist immer kurz vorm Regnen, der Nebel hängt gefühlte 50 Meter über mir. Auch auf der Soca stehen die Nebelschwaden - und ich pfeile im kleinen, klaren Bereich zwischendurch. Das sieht unglaublich aus. Ich sollte anhalten und Fotos machen, doch es wird immer später, und ewig hell ist es um diese Jahreszeit ja auch nicht mehr.
Tolmin erweist sich als hässliches Kaff, das nicht den Eindruck erweckt, mir eine Herberge bieten zu können. Also weiter in Richtung Süden auf der Landstraße 103, die in weiten Schwüngen durch eine bezaubernde Landschaft führt - von der ich nur immer weniger sehe, weil es jetzt langsam mächtig schattig wird. Schließlich komme ich in der Dämmerung in Nova Gorica an, einer Stadt, die von der italienisch-slowenischen Grenze in zwei Teile geteilt wird und im Westen Gorizia heißt. Hier wird jetzt übernachtet, komme was da wolle. Ein Hotelzimmer mit Möglichkeit mein Motorrad unterzustellen brauche ich, erkläre ich der netten Dame in der Tourist Information. Sie empfiehlt das Park Casino und Hotel. Das sei gleich um die Ecke, aber ein Viersterne-Haus und deshalb teuer.
Edel geht die Welt zugrunde: Casino
Neu und nicht so schön: Nova Gorica
62 Euro soll das Zimmer kosten - je nun, man gönnt sich ja sonst nix. Der Eingang macht schon mal eine Menge her. Wo ich denn mein Motorrad parken könne, frage ich einen der Bediensteten am Eingang. Na, gleich hier, bedeutet er mir. Er wird die ganze Nacht darauf aufpassen. Nach dem Einchecken finde ich das (kostenlose) Hotel-WLAN, telefoniere mit zuhause, schicke ein paar Bilder vom Tage, dann ab unter die Dusche und stadtfein gemacht. Ob das wirklich nötig war, frage ich mich anschließend bei einem Gang durch die Innenstadt, die überaus öde wirkt. Mich quält allerdings noch ein ganz anderes Problem: Ich laufe an einer Bar nach der anderen vorbei, doch wo gibt es hier etwas zu essen? Schließlich finde ich eine Pizzeria - und gebe mir eine Wagenrad-große Pizza des Hauses für vertretbare acht Euro.
Was mir schon aufgefallen ist, als ich das letzte mal in dieser Ecke war: In Südtirol spricht quasi jeder neben italienisch auch deutsch. Hundert Kilometer weiter östlich, egal ob in Friaul oder eben in Westslowenien, spricht kaum noch einer deutsch, aber alle können etwas englisch. Zurück ins Hotel, das im Erdgeschoss ein Spielcasino ist. Hier werde ich heute Nacht gut schlafen. Denn Waffen sind verboten. Da bin ich beruhigt. 
Am nächsten Tag geht es weiter. Erst ein kleiner Check: Mit dem mitgebrachten Kompressor pumpe ich vor dem Hotel die Reifen etwas auf, hätte ich auch zuhause machen können, ich weiß. Einer von den Wachleuten zeigt mir seine Suzuki GSX 1100F, auf die er mächtig stolz ist. Seine wäre schon 20 Jahre alt, nicht so neu wie meine GS. Als ich ihm erzähle, dass die auch schon 16 ist, kommt er aus dem Staunen nicht mehr raus. Das Wetter hat sich nicht zum Guten gewendet, es ist neblig trüb und die Straßen sind nass. Ich fahre wieder nach Italien rüber und dann an der SS14 entlang, das ist die Strada Costiera: 15 wunderbare Kilometer direkt am Meer bis nach Triest. Wir sind am Mittelmeer, meine Q und ich. Mission accomplished.
Nicht schön aber bezahlbar: Plakette
Mein nächstes Ziel heißt Kroatien. Von Triest nach Umag in Istrien sind es keine 60 Kilometer. Das Wetter hat ein bisschen aufgezogen, vereinzelt ist sogar blauer Himmel zu sehen. Die Strecke über Koper und an der kurzen slowenischen Mittelmeerküste entlang bin ich immer nur mit dem Auto gefahren, mit dem Motorrad ist es eine Premiere. Dann eine Überraschung: in Slowenien muss man nicht nur auf Autobahnen eine Mautplakette haben, sondern auch auf Schnellstraßen wie der H5 - und auf der finde ich mich wieder, als ich bei Skofije die Grenze quere. Ein paar Kilometer fahre ich als Mautpreller über die H5, dann halte ich an einer Tankstelle und kaufe mir eine Plakette. Für Motorräder kostet sie 7,50 Euro für eine Woche - erwischt werden ist teurer. Obwohl Kroatien seit zwei Jahren EU-Mitglied ist, gibt es zwischen Slowenien und Kroatien immer noch eine Grenzkontrolle, denn Kroatien gehört noch nicht dem Schengen-Raum an. Dennoch, eins hat sich geändert: Jetzt sitzen die slowenischen und die kroatischen Grenzer gemeinsam in einer Kabine. 
In Umag am Hafen
20 Minuten nach dem Grenzübertritt stehe ich mit meiner GS in Umag am Hafen - und bekomme anerkennende Worte von deutschen Bustouristen zu hören, die die Promenade entlangschlurfen. Von München nach Umag, bei dem Wetter... Ein Anruf zuhause bringt das Thema Wetter erneut auf die Tagesordnung. Die Göttergattin berichtet von einem apokalyptischen Gewitter, einem heftigen Temperatursturz und ganz und gar furchtbarem Mistwetter daheim. Was hatte die GS-Fahrerin am Felbertauern gesagt: Am Mittwoch soll's hier schneien. Im selben Moment fängt es in Umag zu regnen an, und ich beerdige meinen Plan, den ganzen Tag in Istrien herumzugurken. Ich überlege, nach Slowenien zurückzufahren, denn von Pula nach München sind es 600 Kilometer, das ist eine Mördertour, sogar dann, wenn das Wetter mitspielt und man die ganze Zeit Autobahn fährt. Von Istrien aus gibt es nur wenige Wege nach Slowenien, einer ist die Strecke über Koper, die ich gerade gefahren bin, die andere ist die Strecke von Opatija nach Postojna.
Nobel, nobel: Opatija
Also erst einmal auf nach Opatija. Das ist ein sehr mondäner Küstenort 15 Kilometer westlich der Hafenstadt Rijeka. Der Weg dahin führt mich im Regen einmal quer durch Istrien. Ich kenne die Strecke, bin sie mit dem Auto schon öfter gefahren. Mit dem Motorrad wäre sie sicherlich schöner, wenn das Wetter besser wäre. Als ich in Opatija ankomme, reißt das Wetter auf. Es ist nicht direkt heiß, aber ich sitze ohne Jacke in einem Straßencafé und mache Pause. Doch allzu lang mag ich mich nicht aufhalten, irgendwie nagt die Sache mit dem Schnee in den Bergen an mir. Dennoch, Opatija ist irgendwie charmant. Vielleicht nicht ganz das Richtige für einen nassen Biker, aber das nächste mal mit der Frau...  
Die Strecke zwischen Opatija in Kroatien und Postojna in Slowenien ist mir mit dem Auto als sehr lästig in Erinnerung. Ewig gurkt man da mit Tempo 70 in der Kolonne hinter irgendwelchen holländischen Wohnmobilen oder rachitischen Ostblock-Lkw entlang und wartet darauf, dass man auf die Autobahn kann. Mit dem Motorrad und außerhalb der Saison ist das auf einmal völlig anders. Der sonst so nervige Ziehweg erweist sich plötzlich als angenehm kurvige Landstraße, auf der man entspannt und flott entlangsurfen kann.
Flugzeuge im Hof
Tat einst an der Adria Dienst: U-Boot
In Pivka mache ich Halt. Dort war zu Zeiten der Volksrepublik Jugoslawien eine Garnison der jugoslawischen Streitkräfte. Jetzt entsteht dort ein großes Militärmuseum, das an die kriegerische Vergangenheit der Gegend erinnern soll, die den weiten Bogen von den früheren Jahrhunderten über en ersten Weltkrieg bis hin zum Kalten Krieg zieht. Das ganze wird vom slowenischen Staat finanziert und soll irgendwann einmal einen Rundweg von über elf Kilometer Länge umfassen. Schon jetzt gibt es ein Museum und einen Armee-Shop, beides ist bei meinem Besuch geschlossen. Doch zwischen den Kasernengebäuden stehen Flugzeuge, Panzer und sogar ein U-Boot herum. Wusstet ihr, dass die jugoslawische Luftwaffe über 200 Jagdbomber aus US-anerikanischer Produktion hatte?
Bei Postojna fahre ich auf die Autobahn Richtung Ljubljana. Noch 50 Kilometer, und ich bin in der slowenischen Hauptstadt. Andererseits: Was soll ich da? Erst im Sommer war ich mit meiner Frau dort gewesen und hatte frustriert zur Kennnis genommen, wie die an sich putzige Altstadt immer mehr vertouristet. Und außerdem: Wenn ich jetzt so weiter mache, dann bin ich ja gleich in Österreich. Also fahre ich wieder runter von der Autobahn und treffe in Vrhnika eine goldrichtige Entscheidung: Ich will nach Jesenice, das ist die letzte größere Stadt vor dem Karawankentunnel im Norden. Da muss ich morgen irgendwo über die Berge, wenn ich noch heim kommen will. Über Autobahn wäre ich in zwei Stunden dort, aber ich gebe in mein Navi ein, dass ich über Idrija und Tolmin fahren möchte, Routenoption "Autobahnen vermeiden". 180 Kilometer soll die Route lang sein - und abends um sechs soll ich da sein. Also los.
Was dann folgt, ist Endurowandern vom Feinsten: Das Navi führt mich über die verschlungensten Pfade durch Nordwestslowenien. Das Wetter ist gut, und eigentlich geht fast alles im Dritten. Sogar ein paar Schotterpassagen sind dabei, weil auf einer an sich schnell zu fahrenden Durchgangsstraße hintereinander sechs lange Baustellen mit Wechselampeln sind. Eine tolle Fahrt, aber es wird immer später. Am Schluss fängt es auch noch das Regnen an, und schattig wird es auch. Außerdem mache ich Bekanntschaft mit dem einzigen technischen Defekt der Reise: das Navi hat einen Wackelkontakt und wird nicht mehr geladen. Ich habe zwar eine Karte dabei, und auch auf meinem Handy hätte ich zur Not ein Navi, aber mitten im Wald, wo nur alle 20 Kilometer ein Wegweiser kommt (auf dem Orte stehen, die ich nicht kenne), frage ich mich, wie weit es denn wohl noch ist.
Lecker: Schnitzen und Bier
Kurz vor sechs Uhr abends komme ich in Nemski Rovt an, einem kleinen, verschlafenen Ortsteil des nicht viel größeren und weniger verschlafenen Kleinstädtchens Bohinjska Bistrica. Dort fahre ich an einer Pension vorbei, die damit wirbt, dass es Zimmer gibt, man was essen kann und Motorradfahrer willkommen sind. Ob die noch auf haben, Ende Oktober? Sie haben, und eine Stunde später sitze ich frisch geduscht und umgezogen vor einem großen Wiener Schnitzel mit Pommes, das die Pensionswirtion extra für mich gebraten hat.
Drei Biere - lecker: slowenisches Union-Pils - später bin ich reif fürs Bett. In der Nacht tobt über uns ein Gewitter, das mich an der Fortsetzung der Reise zweifeln lässt.
Die Ruhe nach dem Sturm
Sieht schön aus, ist aber kalt
Als ich am nächsten Tag aus dem Fenster sehe, sieht alles friedlich aus - nur die Berge, die gestern noch grau waren, sind jetzt weiß. Ich schwinge mich, mit ein paar Insidertipps des Gatten der Pensionswirtin versorgt, auf die Q und fahre auf dem kürzesten Weg nach Jensenice. Das Problem mit dem Navi ist behoben, zwei Streifen Pappkarton zwischen Gehäuse und Halterung sorgen für den nötigen Anpressdruck auf die Kontakte. Kalt ist es geworden, deshalb habe ich gleich meinen Fllecepulli unter und meine Regenjacke über die Jacke gezogen, die Griffheizung bullert auf 50 Prozent.
Kurz vor Jesenice gelingt mir noch eine schöne Bergaufnahme, und dann schmeiße ich erneut meine Reiseplanung über den Haufen, Denn im Karawankentunnel wird gebaut, er wird immer wieder halbstundenweise gesperrt. Außerdem ist man danach sofort auf der österreichischen Autobahn, und eine Ösi-Vignette habe ich nicht (und will sie mir auch nicht kaufen). Doch der Herbergsvater hatte mir ohnehin empfohlen, ich solle über den Wurzenpass fahren, westlich vom Karawankentunnel. Also biege ich kurz vorm Tunnel von der Autobahn ab und folge dem Wegweiser Richtung Tarvisio. 20 Minuten später stehe ich am Wurzenpass - mitten im Schnee. Zum Glück sind die Straßen frei, aber trocken sind sie nicht. Kaum habe ich die Grenze nach Österreich überfahren, fahre ich ins Nichts: Die Straße geht mit 15 Prozent Gefälle bergab und Nebel beschert mir eine Sicht von vielleicht zehn Metern. Na super.
Wurzenpass im Schnee
Ein paar Kilometer weiter bin ich unterhalb der Schneegrenze und auch das Wetter wird wieder besser. Doch ab jetzt macht sich eine gewisse Eintönigkeit breit, Ich staue mich durch die bemerkenswert hässlichen Städte Villach und Spittal und fahre wieder die Drau-Bundesstraße entlang, die ich am Montag schon unter den Rädern hatte. Um eine Spende an die österreichischen Polizeibehörden zu vermeiden, heißt es in jeder der ungefähr fünfzig Tempo-70-Beschränkungen brav das Tempo senken, denn irgendwo steht immer ein Blitzer. dazu kommt ein ziemlich fieser Sturm von vorn. Als ich bei Lienz auf die Felbertauernstraße abbiege, fängt es auch noch zu regnen an, etwas weiter oben geht der Regen dann in Schnee über. Die Griffheizung läuft längst auf 100 Prozent, 150 Prozent würde ich auch nehmen.
Super Motorrad-Wetter, oder?
Als ich an der Stelle an der Wechselampel stehe, an der mir zwei Tage zuvor die GS-Fahrerin Schneefall angekündigt hatte, fängt mein Pinlock-Visier zu beschlagen an. Na super. Ein Warnschild hat vorher schon von Schneeverwehungen gekündet, und tatsächlich hat meine Q bei der Bergauffahrt zur Tunneleinfahrt kurzfristig mit der Traktion zu kämpfen. Aber ich denke mir: "Wie paaren sich die Stachelscheine? Gaanz vorsichtig!" und fahre einfach wie auf rohen Eiern die Zufahrt hoch. Der blöde Audi-Fahrer hinter mir muss sich an der Mautstelle dann noch etwas mehr in Geduld üben, denn bis ich mich so weit ausgepackt habe, dass ich mit klammen Fingern den Zehner rüberreichen kann - und bis ich anschließend wieder so weit verstaut bin, dass es weiter geht, vergeht seine Zeit. Was fährt der blöde Typ auch im Winter über den Felbertauern?
Weißes Zeugs überall
Zehn Kilometer später stehe ich wieder dort, wo ich zwei Tage vorher bei schönstem Sonnenschein Rast gemacht hatte. Ich mache mein letztes Foto auf dieser Tour. Jetzt heißt es nur noch Augen zu und durch. Bis nach München wird es durchregnen, und mehr als fünf Grad wird es nicht mehr werden. Bei solch einem Wetter ist mir die Autobahn zu heftig, zumal immer noch ein brutaler Wind geht. Zwei Stunden später bin ich zuhause - und nach einer heißen Dusche bin ich auch wieder ansprechbar.
Fazit: Geile Tour. Wetter hätte besser sein können. Aber irgendwas ist ja immer.